Donnerstag, 20. September 2007

Mittelwerte richtig interpretieren

Die korrekte Interpretation von Mittelwerten ist das aktuelle Thema in Wolfgang Peters Arbeitszimmer-Blog, ein Thema zu dem ich in diesem Blog sowie bei lernmodule.net auch schon einiges geschrieben habe. Wenn ich mir das gut formulierte Arbeitszimmer-Rechenbeispiel so ansehe, fällt mir wieder eine Geschichte zum Thema Mittelwertinterpretation ein, die ich schon in einigen Vorlesungen zum Besten gegeben habe: Der wahre Grund für die niedrige Lebenserwartung im Mittelalter.

Wie vermutlich jeder von uns sich schon im Geschichtsunterricht auf der Schule anhören durfte, lag die durchschnittliche Lebenserwartung im Mittelalter deutlich unter der moderner Epochen. Der durchschnittliche Landarbeiter konnte sich freuen, wenn er 30 Jahre zählen durfte, mit 40 war er schon ziemlich alt und mit 50 ein wahrer Methusalem – ein biblisches Alter welches bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung um die 40 Jahre natürlich kaum ein Mensch erreichte...


Sieht man sich die Altersverteilung einmal genauer an, so stellt man fest, dass es auch zu Kolumbus Zeiten 70-, 80- und sogar 90jährige Menschen gegeben hat – natürlich nicht in dem Maß, wie wir dies heute erleben (dafür sorgte schon die schlechtere Ernährung und die primitive Medizin), aber dennoch gab es sie – und die wenigsten sahen mit 30 schon ihrem Ableben ins Auge. Der Grund für die äußerst niedrige Lebenserwartung liegt vielmehr in der hohen Kindersterblichkeit – von sieben oder acht Kindern einer Durchschnittsfamilie erreichte kaum die Hälfte das vierte Lebensjahr, viele Kinder starben sogar direkt bei der Geburt. Lässt man diese Werte in die Berechnung des durchschnittlichen Sterbealters einfließen, so korrigiert sich dieses natürlich nach unten – und schon entsteht ein völlig falscher Eindruck hinsichtlich des Lebens im Mittelalter, zumindest wenn man darauf verzichtet, das Zustandekommen einer solchen Zahl näher zu beleuchten.


Das zeigt mal wieder, was man in der Schule alles nicht lernt – aber für die Berechnung des Klassendurchschnitts aus den ordinalskalierten Notenwerten hat meine Geschichtslehrerin auch immer auf das arithmetische Mittel zurückgegriffen...
Ein zweites Beispiel für die falsche Interpretation von Mittelwerten findet sich in meinem Erstlingswerk „Multivariate Analyseverfahren in der Marktforschung“, erschienen beim Internet-Verlag lulu:

Bei der Interpretation des arithmetischen Mittels sollte der Marktforscher außerdem stets im Hinterkopf haben, wie sich dieses berechnet. So lässt sich anhand der oben dargestellten Formel leicht nachweisen, dass die Mehrheit der Deutschen überdurchschnittlich viele Augen im Kopf hat: Da nämlich unter 80.000.000 Bundesbürgern auch etwa 20.000 Einäugige leben, ergibt sich bei der Berechnung der durchschnittlichen Augenzahl folgendes:



Da die meisten Deutschen aber immer noch zwei Augen haben...die Schlussfolgerungen seien jedem selbst überlassen. Festzustellen bleibt aber, dass das arithmetische Mittel nur dann sinnvoll und richtig interpretiert werden kann, wenn man es nicht einfach als „Durchschnitt“ hinnimmt, sondern während der Interpretation nie vergisst, wie der Wert berechnet wird bzw. welche Effekte auftreten können. Wer die „Stolperfallen“ bei der Interpretation von Mittelwerten dagegen im Hinterkopf behält, wird in den meisten Fällen keine Probleme bekommen. Allen Tutoren oder Lehrenden, die hierfür noch ein brauchbares (wirtschaftswissenschaftliches) Beispiel suchen und sich nicht mit mittelalterlichen Bauern und durchschnittlichen Augenzahlen in den Hörsaal stellen wollen, sei das praixsnahe und leicht verständliche Beispiel aus dem Arbeitszimmer noch einmal mit Nachdruck empfohlen.

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